Sonntag, 18. März 2012

Ein Feigenblatt für Alltagsrassismus oder: wer hilft hier wem?

Stellungnahme und kritische Reflexion des LAK Antifa/Antira 

Bilanz nach Dessau: Weniger Nazis als im Vorjahr und auch wenn sie ihre ursprüngliche Route laufen konnten, so wurden sie doch zumindest eine Stunde aufgehalten und von Rufen, Johlen, Pfeifen, Musik und Transparenten gehörig genervt. - Also eigentlich alles schön...oder etwa nicht?

Wir wollen als uns als links und kritisch verstehende Aktivist_innen natürlich nicht auf der Basis von (Nazi-)Aktion – (links-interventionistische)Reaktion im luftleeren Raum handeln. Dann betrachten wir doch mal den Kontext, in dem die diesjährige Mobilisierung nach Dessau mit dem Ziel, den Trauermarsch der Neonazis zu blockieren stand: Zunächst gab es gar keine Mobilisierung, dann riefen neben der Linksjugend ['solid] verschiedene Gruppen aus Burg, Magdeburg und Berlin auf, den Naziaufmarsch in Dessau zu verhindern.
Antifaschist_innen aus Dessau, die in den vergangenen Jahren den Großteil der Mobilisierungen geleistet haben, entschieden sich dieses Jahr dagegen; in erster Linie als politisch-symbolische Konsequenz der Ergeignisse in Dessau in den vergangenen Monaten. Trotz der Vorkommnisse bei der Oury- Jalloh-Gedenkdemonstration Anfang Januar und der fatalen Ignoranz und Ohnmacht seitens der Polizeibeamt_innen während einer Spontandemo kurz darauf, in der ausländerfeindliche Parolen gerufen wurden und eine nicht unerhebliche Zahl von Neonazis, teilweise mit Quarzhandschuhen bewaffnet, mitlief, sahen weder Bürgermeister Koschig noch das Bündnis „Gelebte Demokratie Dessau“ Anzeichen für einen gesteigertes Rassismusproblem in ihrer schönen Stadt. Diese realitätsverleugnende Haltung wurde enstprechend klar durch eine friedliche Demo unter dem Titel „Rassistischen Konsens brechen – Dessauer Verhältnisse angreifen“ kritisiert.

Es sollte hier betont werden, dass die Antifaschist_innen vor Ort wohl jeden Grund gehabt hätten, angesicht der geradezu grostek zurückhaltenden Reaktionen auf eine Mobilisierung ihrerseits zu verzichten, um den „stoischen“ städtischen Vertretern zu verdeutlichen, was an offen auf die Straße getragener demokratischer Unterstützung fehlen kann, wenn sie eben einmal nicht aufrufen.

Die Rechnung wurde leider ohne das aktionistische Bedürfnis anderer linker Gruppen gemacht. Und nicht genug, dass der politischen Strategie entgegengearbeitet wurde, man setzte die Verantwortungsbewussteren unter uns auch noch vor vollendete Tatsachen, schließlich war es die Gruppe „No Nazis Dessau“, die gezwungenermaßen die notwendige Infrastruktur mit Infotelefon, Ticker, Karte und Ermittlungsausschuss organisierte.

Zu allem Überfluss ist auch noch der erwartete worst case eingetreten: Bürgermeister und Projekt Gegenpart konnten sich noch am Tag des Trauermarschs mit Stolz der Presse präsentieren, denn schließlich seien es ja die Dessauer Bürger_innen, die sich den Nazis entgegenstellt hätten. was ja nur als klares Zeichen dafür gewertet werden kann, dass man offensichtlich kein größeres Problem mit Rassismus habe „als jede andere Stadt im Osten“ (Gegenpart) und sich vor allem nicht von den besserwisserischen Berufsdemonstranten vorschreiben lassen müsse, „was man zu denken und zu tun habe“ (Koschig).

Ja, es ist richtig und wichtig gewesen, vor Ort den Mythos von der Trauer um deutsche Opfer zu stören und ja, es war ein Erfolg, den Aufmarsch für eine Weile aufgehalten zu haben. Aber richtiges Handeln aus den richtigen Gründen kann immer noch zu unerwünschten Ergebnissen führen und genau das haben wir in Dessau erlebt. Es ging nicht darum, Dessau zu beschützen; es ging auch nicht darum, sein Image aufzupolieren. Die Blockade der Nazis einerseits und die davon unabhängige Kritik an Dessauer Verhältnissen andererseits gehören klar voneinander getrennt. Nicht obwohl, sondern gerade weil beides von den selben „Berufsdemonstrant_innen“ ausgegangen ist. Wenn wir nicht zusehen wollen, dass sich Dessau nun für den Rest des Jahres darauf ausruhen kann, dass der Naziaufmarsch ja auf Gegenprotest stieß und deshalb jede Beschäftigung mit dem offenen Alltagsrassismus als unnötig unterlässt, dann muss es auch weiterhin heißen „Rassistischen Konsens brechen – Dessauer Verhältnisse angreifen“.

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